Thesen zur Theologie
Wie heute von Gott reden?
Bescheiden. Reflektiert. Erlösend. Poetisch. Christlich
1. Bescheiden
1.1 Das zweite Gebot (Du sollst den Namen Gottes nicht „verunehren“/missbrauchen)
warnt vor dem unbedachten oder gar manipulativen Gebrauch des Wortes „Gott“.
Gott ist weder Erziehungshilfe noch politischer Kampfbegriff,
niemals Objekt, nie haben wir „objektive“, nachweisbare Erkenntnisse über Gott.
1.2 Weil jede menschliche Vorstellung menschlich ist und bleibt,
darum sind alle Vorstellungen über Wirklichkeiten, die unseren Horizont übersteigen
(wie Mikrokosmus, Weltall, Transzendenz)
mindestens so falsch wie richtig (so schon das IV.Laterankonzil 1214).
Denn, so verdichtet Angelus Silesius eine Grund-Einsicht der Mystik,
„Gott ist ein lauter Nichts, Ihn rührt kein Nun noch Hier,
je mehr du nach Ihm greifst, je mehr entwird Er dir!
1.3 Aussagen über Gott sind keine Definition, kein Ortsschild
- sie sind Wegweiser, und keineswegs weisen sie immer in die richtige Richtung.
1.4 Zudem sind die Wegweiser „in Spiegelschrift“.
Sie sagen nicht, wie Gott „ist“, sie verweisen darauf, wo „Er“ uns aufgeht
(so wie beim „Sonnenaufgang“ die Sonne nicht aufgeht, sondern nur uns aufgeht).
Moderne Theologie nennt diesen Perspektivwechsel die „anthropologische Wende“:
"Wenden" wir den Glaubens-Satz „Gott ist die Liebe", so bedeutet er:
wir können von Gott nie mehr verstehen als da, wo wir lieben.
2. Reflektiert
2.1 Dass wir Gott nicht „wissen“ könne, ist keine Rechtfertigung für Denkfaulheit.
Der Satz „Das kannst du nicht verstehen, das musst du glauben!“ ist doppelt falsch.
Weder kann ich auf etwas vertrauen, dass ich nicht verstehe,
noch setzt Glauben da ein, wo wir Wissenslücken haben.
2.2 Bei allem Wissen über das Wie, Wann und Was bleibt das letzte Warum unfassbar.
Ist alles, was ist, nur Zufall? Grundlos, sinnlos, ziellos?
Kann Komplexes ohne Konzept entstehen? Kann man ohne Sinn leben?
Verträgt sich Liebe mit Beliebigkeit? Gibt es Ethik, ein Sollen, in einer Zufalls-Welt?
2.3 Eine Denkhilfe für Christen kann die „evolutionäre Erkenntnistheorie“ sein.
Sie (Rupert Riedl, Karl Popper, Konrad Lorenz) versteht Evolution als Lernprozess.
„Die Flosse des Fisches ist die Antwort auf das Meer“ (Konrad Lorenz).
Unsere Beine antworten auf das Leben an Land, unsere Augen auf die Sonne.
Worauf antwortet unser Bewusstsein, unsere „Seele“, unsere Sehnsucht,
die über alles Begreifen hinausfragt und -träumt?
Ist das, was uns Menschen ausmacht, ein Webfehler der Evolution
oder ein Reflex einer größeren unfassbaren Wahrheit?
2.4 Gott, so ein philosophisch- psychologischer Einwand, ist eine menschliche Projektion.
Dem Menschen wird aufgrund seiner Intelligenz seine fragliche Existenz bewusst,
In dieser Daseinsangst sehnt er sich nach Geborgenheit,
in seiner Trauer um gestorbene Liebe sehnt er sich nach bleibender Verbindung,
in seiner verzweifelten Suche nach Sinn sucht er einen letzten Grund
- und erfindet den Placebo „Gott“ :
„Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde“ (Anselm Feuerbach).
Jede Aussage über Gott ist zunächst eine Aussage von und über Menschen.
2.5 Die Sehnsucht des Menschen wünscht Gott. Aber woher kommt diese Sehnsucht?
Reflektiert fragen wir, was und warum Menschen von Gott wünschen.
Schon die Mystik spürte und die Schöpfungsgeschichte erzählte:
Das Leben ist eine Projektion Gottes. „Er“ hat sich uns ein-gebildet.
3. Erlösend
3.1 Religion ist nur lebendig, wenn sie mehr ist als Folklore, Konvention und Sozialarbeit,
wenn sie an die Seele geht.
Diese Tiefen-Wirkung ist aber doppeldeutig und keineswegs immer heilsam.
3.2 Oft wird Gott verwechselt mit jenem andressierten verinnerlichten Regelsystem,
das Siegmund Freud „Über-Ich“ genannt hat.
Das Über-Ich macht fast immer ein schlechtes Gewissen und damit klein:
„Du bist nicht in Ordnung“, ist seine Grund-Botschaft, Paulus nennt es „das Gesetz“.
3.3 Uns früher und tiefer ein-gebildet als das Über-Ich ist allerdings das Ur-Vertrauen,
die Erfahrung geschenkter Zuwendung, ohne die kein Menschenkind überlebt,
auch wenn viele zu wenig davon bekommen.
„Schön, dass du da bist“, sagt das Ur-Vertrauen - Paulus nennt es „Evangelium“.
Und Evangelium bedeutete Amnestie, Freilassung, Auslösung.
Im Ur-Vertrauen spricht sich der Gott der Bibel viel mehr aus als im Über-Ich.
In der Kirche heißt das „Segen“!
3.4 Jede Religion, jede Gotteskunde kann als Druckmittel missbraucht werden.
Sie stabilisiert dann die Herrschaft derer, die das Sagen haben,
oder immunisiert überkommene Lebensformen gegen Infragestellung.
Doch kann Religion auch ein „Resilienz-Reservoir“ sein,
und ein Kernthema biblischen Gottesglaubens ist die Befreiung aus der Unmündigkeit,
die Erlösung aus Angst und Enge.
3.5 Wer sich mit dem Namen Gottes Menschen unterwirft,
auch zu ihrem angeblich Besten, ist nach der Bibel ein Gotteslästerer.
Nur wo die Gotteshoffnung hilft, dass Menschen aufatmen,
dass sie sich ein wenig lösen aus Angst und Enge, auch aus der Angst um sich selbst,
wird nach den Maßstäben der Bibel angemessen von Gott gesprochen.
4. Poetisch
Sowohl ein nüchtern-protokollierender Tonfall wie die moralisierende Ermahnung,
sowohl die völlig lebensfremde Formelsprache als auch bemühte Lockerheit
scheinen mir unangemessen für jeden Versuch, das Gottesgeheimnis anzusprechen.
Angemessen ist m.E. nur eine poetische Sprache, die nicht leichtfertig ist,
die aber immer über sich hinausweist (vgl. z.B. Huub Oosterhuis).
5. Christlich
5.1 Christen können auf Dauer nicht von Gott sprechen, ohne von Jesus zu erzählen.
Jesus hat vorgelebt, wie und wo Gott ist.
Aber auch hier ist Bescheidenheit und Vorsicht bei „Aktualisierungen“ angebracht.
5.2 Es gibt unterschiedliche Tiefenerfahrungen: Macht, Freiheit, Gemeinschaft, Tod.
Nach der Bibel ist Liebe die Tiefenerfahrung, in der wir Gott „kosten“.
Aber auch hier bleibt selbstkritische Prüfung nötig:
benutzen wir das Wort Liebe, wenn wir im Grunde besitzen und beherrschen wollen?
6. Persönliche Gegenprobe
(1) Was „bewirkt“ mein Glaube an Gott bei und in mir?
Was würde sich ändern, wenn ich diesen Glauben nicht (mehr) hätte?
(2) Wo „spüre“ und ahne ich etwas von dem Grund und Geheimnis des Lebens,
das das Wort Gott erinnert, nicht beschreibt?
(3) Was kann ich tun, dass Gott für mich nicht nur ein Wort, eine Idee ist.
Wir kann ich „IHN“ in mein Leben einlassen?